Was wird aus ATmosphere ?

Entwickelt sich die Software im Atmosphere Universum in eine ganz andere Richtung als viele Menschen dachten?

Wenn ich durch die verschiedenen Diskussionen rund um Bluesky gehe, erlebe ich eine allgemeine Unzufriedenheit. Während es sich lohnt, technisch zu argumentieren, also die Position des reinen Herstellers einzunehmen, wollte man gleichzeitig eine moralische Position einnehmen und Menschen aktiv vor Belästigung schützen.

Es entstand eine Unzufriedenheit unter den Communitys, dass Bluesky nicht konsequent ist. Auf der einen Seite wollten sie Visionen haben, die viele Menschen ernst nehmen, auf der anderen Seite argumentierten sie, wenn es um die Sperrung einer Person geht, die allgemein für transfeindliche Äußerungen bekannt ist, rein legalistisch. Mit dem legalistischen Ansatz vertritt man allerdings keinen Ansatz, der Minderheiten schützen kann, sondern beschränkt sich auf den Bereich der Sanktionierung bei objektiv festgestellten Straftaten.

Ein Teil der Menschen wurde unzufrieden und wartet nun ab, ob sich mit den dezentralen Alternativen (Blacksky, Northernsky, Eurosky etc) etwas verbessert, andere haben bereits jetzt die Reißleine gezogen und prophezeien, dass die vermeintliche Neutralität Bluesky den Todesstoß geben werde.

"Und Bluesky hat den gleichen Fehler gemacht wie Twitter unter Musk: Sie haben (zumindest am Anfang) geglaubt, Neutralitaet sei Staerke. Aber wer Hass duldet, verliert am Ende die Kontrolle oder wird assimiliert"

Labelsystem und seine Schwächen

Gleichzeitig zeigt das Labelsystem etliche Schwächen. Es funktioniert bei feststellbaren Fakten gut. Hat jemand mehr als 100 Beiträge am Vortag geschrieben, seinen Profilnamen in den letzten Tagen mehrfach gewechselt, postet er häufig KI Bilder, zeigt er Erwachseneninhalte wie nackte Männer oder Frauen - soweit so gut, das Labelsystem wirkt hier entsprechend und kann helfen, einen Account einzuordnen.

Schwieriger wird es bei moralischen Etiketten oder bei Verstößen, die sich auf Handlungsmuster beziehen, die nicht in jedem Beitrag erkennbar sind. Das System labelt den Account, versteckt aber dessen Inhalte mit dem Verweis auf ein Label. Das führt dazu, dass das Labelsystem fehlerhaft arbeitet. Wenn Person X durch Desinformation aufgefallen ist, bedeutet es nicht, dass jeder Beitrag dieser Person Desinformation enthält. Blendet Bluesky einen Beitrag einer Person wegen Desinformation aus, der keine Desinformation enthält, arbeitet das System fehlerhaft. Von etlichen Missbräuchen des Systems, der übrigens von den gleichen Leuten ausgeht, die auch die Blocklisten missbräuchlich einsetzen (wogegen Bluesky auch nicht tätig ist), nicht einmal zu sprechen. Es geht eben nichts, rein gar nichts, über menschliche Moderation konkreter Beiträge oder im Wiederholungsfall um Sperrung einer Person. Wie ich in einem anderen Artikel ausgeführt habe, beißt sich eine Sperrung natürlich mit dem dezentralen Gedanken, aber wenn Bluesky den Anspruch, den Jay Graber selbst formuliert hat, ernst nehmen will, müssen sie an dieser Stelle entscheiden, nicht mehr dezentral zu agieren.

Neue Perspektiven

Neben diesen Problemen, die dazu führen könnten, dass sich Bluesky selbst nicht mehr als Microblogplattform etablieren kann, erlebe ich die Zunahme von Macroblogs mit dem AT Protokoll, Atmosphere wächst im Bereich der Blogs. Das nicht nur im Bereich der vielen Worte, sondern etliche Blogs enthalten auch kurze Beiträge, die problemlos in den Microblogplattformen von Bluesky untergebracht werden könnten. Bei genauerer Überlegung mag das sinnvoll erscheinen: während man seine tägliche Kaffeetasse vielleicht nicht unbedingt als Teil eines PDS für die Ewigkeit aufbewahren muss, sieht das bei Blogeinträgen schon anders aus. Dort, wo man wirklich etwas sagen und behalten möchte. Vielleicht erleben wir, dass im gleichen Maße, wie sich Bluesky als Microblog nicht durchsetzen wird, ein Aufleben des AT Protokolls im Bereich der Macroblogs. Das tägliche "Guten Morgen" braucht hingegen nicht für die Ewigkeit bewahrt werden.